Henning Kober: Unter diesem Einfluss. Roman
Von Wolfgang Planz
Von Wolfgang Planz
Die "Intensivierung der Gegenwart" lässt Henning Kober seinen skandalumwitterten Autor Bobby geradezu programmatisch in einem seiner Blogeinträge fordern. Damit formuliert Kober zugleich die zentrale Lebensmaxime seiner Protagonisten und in gewisser Weise auch die Leitlinie seines Debüts.
Der Roman Unter diesem Einfluss wird abwechselnd von zwei Brüdern erzählt: Janus durchfeiert die Nächte im Szeneclub und begibt sich später auf Reisen. Bobby ist abgetaucht, nachdem er wegen seines Buchs "New Order 07" hart angegriffen wurde. "Töchter und Söhne der urdeutschen Elite" verüben darin Terroranschläge. Nun berichtet er in briefartigen Blogeinträgen unter dem Titel "Finale Hysterie" über seinen Verbleib und wettert pathetisch gegen die Oberflächlichkeit und das Spießertum in der Welt.
Kobers Ich-Erzähler sind betucht und rastlos. Sinnbildlich für ihren Lebensstil steht der zerschlissene Reisepass. Sie fliegen, sie mieten einen hochmotorisierten PKW oder nehmen notfalls den Schnellzug. Hauptsache: Geschwindigkeit. Von der Gier nach neuen Erfahrungen getrieben, führt es Janus unter anderem nach London, in den Himalaya, nach Frankreich, L.A. oder Las Vegas. Er besucht die schicksten Bars, erlebt drogenbefeuerte Partys, unterhält sich mit Freunden oder sucht kurzerhand Selbstbestätigung im körperlichen Grenzgang. Bobby vertreibt sich derweil die Zeit in den USA, bevor er nach Europa und später sogar nach Afghanistan reist. Die Ruhelosigkeit der beiden Brüder ist auch ihren Berichten anzumerken. Sprunghaft wechseln sie zwischen Beobachtungen und Gedanken, Rückwendungen und ihren Erlebnissen. Die vielen knappen, oftmals elliptischen Sätze erzeugen Rasanz und geben mitunter eindringlich den Bewusstseinszustand des Erzählers wieder: "Ich sitze hier in einer dunklen Ecke im großen Club. Bässe hämmern, meine Ohren flimmern. Ganz dunkle Ecke, aber sitzen. Von links redet ein Schatten. Zwischen zwei Fingern glimmt ein Rest Zigarette. Nach rechts tröpfelt das Gewürge aus dem Mund runter auf den Boden."
Allerdings strengt Kobers kurzatmiges Stakkato auf Dauer an. In der Schnelligkeit des Romans gehen die kapitelübergreifenden Handlungsstränge unter. Janus' Suche nach Bobby etwa oder seine Beziehung zu Jackie, einer Freundin aus Berlin, drohen stets von Reiseeindrücken oder Partys überlagert zu werden. Ein längeres Innehalten gewährt Kober seinen Protagonisten kaum: "Warum sich Sorgen machen, warum nachgrübeln. Alles zulassen, dann: großer Sprung." Recht wenig lässt sich so über ihre Vergangenheit erfahren. Und wo vermeintlich Bedeutsames mitgeteilt wird, verharrt der Roman in Andeutungen: "Sie sagt, ich solle mir keine Sorgen machen, es seien andere Zeiten, sie werde dieses Mal ganz anders auf mich achtgeben." Die Aussage seiner Halbschwester aus L.A. registriert Janus offensichtlich. Anlass zu Erinnerungen gibt sie ihm jedoch nicht.
Janus wirkt unnahbar. Er ironisiert seine Probleme gegenüber einem Berliner Psychiater. Die Reisen lassen verdrängen, was bedrückt, und der Hauch von Traurigkeit, der ihn dann doch bisweilen umweht, flaut mit einem Satz wieder ab: "Ich knie vor dem Fenster, schaue auf die helle Welt da draußen und weine, viel zu hart, viel zu bitter. Natürlich kann ich mich wieder fangen." Selbst seine Erlebnisse reflektiert er eher beiläufig, und während er zwischen Ermüdungserscheinungen und vermeintlichen Glücksgefühlen pendelnd, von einer Party zur nächsten weiterzieht, verfliegt allmählich das Interesse des Lesers an Kobers Roman.
Da helfen auch die Bemühungen des Autors nicht, seinem Debüt den Anschein eines Rätsels zu geben: Das Leben im "verschwommenen Tag-Nacht-Komplex" seiner Protagonisten bringt merkwürdige Träume mit sich. Es gibt wechselseitige Verweise zwischen den Kapiteln der beiden Brüder und nicht zuletzt flackern immer wieder Anzeichen auf, dass der Skandalautor Bobby selbst terroristische Aktivitäten plant. Um zwischen den vielen Informationsfetzen Zusammenhänge herzustellen, fehlt es an längeren Erzählpassagen, an Orientierung in diesem Sprachdickicht. Was von den Reisen der beiden Protagonisten bleibt, sind zahllose Eindrücke, Ortsnamen, flüchtige Begegnungen und Gespräche. Immerhin lässt sich darin konturenhaft das Bild einer globalisierten Welt erkennen, in der sich die Jugend länderübergreifend vernetzt und der Einfluss westlicher Unterhaltungsindustrie überall bemerkbar ist. So hört Janus etwa aus dem Gespräch mit einem Nepalesen Hollywoodphrasen heraus: "Let’s go man".
Kober versucht, seinen Roman Unter diesem Einfluss mit möglichst vielen Gegenwartssplittern anzureichern: Das künstliche Badeparadies Tropical Islands und die Kriegsherde im Nahen Osten und in Afghanistan sind Schauplätze seiner Handlung. Fernseh-sendungen und Schauspieler werden ebenso erwähnt wie zahlreiche Bands verschiedener Sparten - Artful Dodger, Jay-Z, Babyshambles, New Order - und natürlich auch Markennamen, wie es Bret Easton Ellis und Christian Kracht vorgemacht haben. Nur versperrt gerade dies den Blick auf den Kern seines Romans: So genau wird nicht klar, ob Unter diesem Einfluss die Identitätsproblematik in der heutigen Zeit behandelt, ob Kober Sozialkritik üben möchte, ob er eine dekadente Jugend karikieren will - oder ob er alles zugleich möchte.
Zugute halten muss man Kober dennoch, dass er für einen Debütautor sprachlich selbstbewusst auftritt. "Angstgeballer" oder "Flimmerstille" sind nur einige der vielen Neologismen, die die Ausdrucksweise seiner Protagonisten prägen. In Wortspielen wie, "[e]inmal habe er Bobby gefragt, wie man großartig schreibt, und der habe geantwortet: Klein und zusammen" oder "[s]ie sind gezeichnet von viel Sonne, Bräunungscreme, operativen Eingriffen, vielleicht einfach vom Leben, das nicht glatt verlaufen ist", ist Unter diesem Einfluss durchaus unterhaltsam. Originelle Wendungen und Sätze wiegen aber letztlich den Umstand nicht auf, dass Kober seinen Roman überlädt. Ohne Zweifel verfügt er über schriftstellerisches Potential. Zu entfalten vermag er es in seinem Erstlingswerk allerdings noch nicht.
Henning Kober: Unter diesem Einfluss. Roman. Frankfurt/M.: Fischer 2009. 285 S. 18,95 €.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen