»Meta-Trash«

Max Goldt: Gattin aus Holzabfällen. Mit Text versehene Bilder
Von Ruven Karr

›Es ist nicht alles Goldt, was glänzt‹ – das wäre eine ganz schlechte Überschrift für diese Rezension. Und das nicht nur, weil Max Goldt ein bekennender Hasser aller journalistischen Phrasendrescherei ist, sondern vor allem, weil sein neues Buch trotz bibliophiler Aufmachung überhaupt nicht glanzvoll wirkt. Seinen Einband ziert nämlich ein grundhässliches Kunstwerk aus Abfall. Um es anzufertigen nehme man ein Dutzend Holzscheite verschiedener Größe, forme daraus ein kompaktes Bündel und drapiere es mit einem dicken braunen Seil. Dazu schreibe man ein Schildchen wie in einem Museum: »Gattin«, Holzabfälle, Sisalseil, 2006 und schenke es der Liebsten zum Hochzeitstag. Max Goldt meint, die werde sich über eine solche selbstgemachte Plastik sicherlich mehr freuen als über einfallslose Blumen- oder Pralinengeschenke. Außerdem sieht das Gebilde ja auch ein bisschen wie so eine »Gattin« aus: der sprußige Zopf des geflochtenen Seils und darunter ein löcheriges Mosaik aus Holzteilen, in dem man mit ein bisschen Phantasie ein Gesicht erkennen mag.
Was soll dieser Unsinn, und warum gefällt Max Goldt dieser belanglose Holzstapel so gut, dass er als Cover für seinen ersten Bildband Gattin aus Holzabfällen. Mit Text versehene Bilder herhalten musste? Im Klappentext erfährt man: »Freunde und Verehrer des Dichters sagen, Max Goldt habe die Bildlegende zur Kunstform erhoben. […] Man gebe dem Mann zumindest eine Chance!« Das sind erfrischend bescheidene Worte im sonst so verlogenen Klappentext-Genre! Also lassen wir uns nicht von Titel und Cover abschrecken und geben dem Mann wirklich eine Chance – Freunde und Verehrer des Dichters wissen schließlich auch, dass sich hinter Buchtiteln wie Die Radiotrinkerin, Der Krapfen auf dem Sims und Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zittau der vielleicht geistreichste Unsinn verbirgt, der in den letzten 20 Jahren in Deutschland aufs Papier gebracht wurde.
Angeblich hat Max Goldt einen Teil der Fotos und Zeichnungen, die er in Gattin aus Holzabfällen auf rund 130 Seiten versammelt und mit kleinen Texten versieht, in alten Flohmarktkisten gefunden. Allein Goldts künstlerisches Projekt rechtfertigt es, dass diese unglamourösesten und banalsten Zeugnisse nicht nur des deutschen Alltags aus dem (pop-)kulturellen Abfalleimer herausgefischt und einem höchst eigenwilligen Recycling zugeführt werden. Ein dicker Herrenhintern, der auf einem Hocker im Garten sitzt, ein telefonierendes Mädchen mit grünem Wollpulli unter dem Poster »Faites l’amour pas la guerre«, eine Frau, deren eheberingte Zunge an einer Frikadelle leckt, ein böse guckender Vogel, missverständliche Bedienungsanleitungsskizzen, Werbeschilder und Verpackungsdesign, eigenartige Interieurs und Stillleben, Modesünden aus den 1980er Jahren sowie Bilder, von denen man nicht sagen könnte, was sie eigentlich darstellen sollen. Für dieses ›eigentlich‹ interessiert sich der Autor natürlich herzlich wenig. Die Bilder sind vielmehr eine Art assoziativer Stichwortgeber für die typisch Goldtsche Fabulierkunst, für das Vom-Hundertsten-ins-Tausendste-Kommen und hemmungslose Räsonieren über vermeintlich Nichtiges. Da wird ein Abendkleid zum Kneipennachthemd, der Flughafen Berlin-Schönefeld zu »Berlin-Scheißfeld«, eine auf den Kopf gestellte Fleischspeise zur dadaistischen Anti-Kriegs-Collage und die unscheinbare Plastiktüte eines Straßenmusikanten zum Anlass einer Reflexion über sich an Streichwurststullen vergehende Ratten.
Als ihm 2008 der Kleist-Preis verliehen wurde, lobte die Jury Goldts literarische Technik der grotesken Verfremdung: mit ihr habe er den deutschen Alltag »bis zur Kenntlichkeit entstellt«. Das ist nun zwar wieder einer von diesen verhassten Feuilletonismen – von Goldt selbst im Essay Das Paradox und seine nimmermüde Volkstümlichkeit sprachkritisch diskutiert − doch beschreibt er die literarischen Verfahrensweisen seiner besten Texte sehr treffend. Auch im neuen Buch finden sich bisweilen solche Bildkommentare, die von einem nebensächlichen Detail ausgehend sich in Ausschweifungen verlieren, um schließlich in einer kleinen, meist satirischen alltagssoziologischen Erkenntnis mit Wiederkennungswert zu münden. Gegenstand der Satire ist häufig Goldts Wahlheimat Berlin mit ihren stadtviertelspezifischen Eigenheiten, seien es die »gutsituierten Babyboomer des Neo-Biedermeier« am Kollwitzplatz oder das hippe Berlin-Mitte-Volk, das alles »hinreißend authentisch« findet. Überhaupt ist Goldt ein ausgezeichneter Beobachter von Trends und ihrem raschen Verblühen. So bewahrt auch das werbewirksame Versprechen, dass man an einem »Spiralbambus« von Ikea 70 Jahre seine »Freude« haben soll, diesen nicht davor, »eifrig ins überaus Uncoole umzukippen« – und das nicht nur in Berlin-Mitte. Meist werden solche singulären Trends jedoch nicht bloß kommentiert, sondern mit anderen zeittypischen Schrulligkeiten zu einem grotesken Sittengemälde zusammengeführt. Zum Beispiel wird anhand eines albern futuristischen Aufklebers, der für »MINOLTA ZOOM KOPIEREN« wirbt, vorgeführt, wie sich die junge Subkultur Ost-Berlins in den Copyshops an Marihuana und der neuen Zoom-Funktion berauschte: »Kopieren und Kiffen – das waren im Kreuz- und Schöneberg der späten Mauerjahre beinahe verschwisterte Tätigkeiten […] ›Irgendwas zu kopieren gibt’s immer, grins!‹ lautete damals ein geflügeltes Szene-Wort«. Ein anderes Foto stellt eine altertümliche Sardinenbüchse dar, auf deren Deckel ein Brautpaar abgebildet ist. Die unvorstellbar umständliche Vorrichtung, mittels derer man früher eine solche Büchse öffnen musste, zeitige eine Sauerei, »die für die sechziger und siebziger Jahre typischer war als die wilde Sexualität, die man damals in Wohnkommunen vermutete«.
Auch versäumt Goldt es nicht, seine unverhohlen selektive und punktuelle Bildung an den Mann und im spärlichen Text seines Bilderbuchs ein regelrechtes Figureninventar unterzubringen. George Bernhard Shaw, Paul Klee, Gottfried Benn, Bertolt Brecht, Curt Goetz, Kristina Söderbaum, Alfred Hitchcock, Sophia Loren, Hillary Clinton, Peter Handke, Camilla Parker Bowles, Lou Reed, Christine Neubauer, Stefan Kretzschmar, Kim und Oscar Wilde – nach gut popliterarischer Manier werden hier die kulturellen Höhen, Nischen und Abgründe durchmessen und kurz ironisch angetippt. Nur leider zählen die erwähnten Milieustudien zum Originellsten in der Gattin. Die »wahren Wunder an Eleganz und Poesie« und die »blendend helle moralische Intelligenz«, die Daniel Kehlmann in seiner Laudatio zum Kleist-Preis an Goldts Prosa rühmte, sucht man hier vergebens. Wer Goldts Assoziationsakrobatik kennt und schätzt, wird zumeist auch den zündenden Einfall vermissen, der zwischen den äußerst seltsamen Bildern und deren Kommentaren vermittelt. Es gibt freilich die eine oder andere phantasievolle und amüsante Bild-Text-Kombination wie etwa der Nahverkehrsplan der Stadt Altenburg in Thüringen, der tatsächlich aussieht wie ein »Mann mit Aktentasche, der aufgrund von Harndrang vor sich hin tänzelt, wobei er auf seine Armbanduhr schaut und denkt: Wo bleibt denn nur dieser verdammte Bus?« Wenn nun aber wenigstens die Qualität der Texte an Goldts übriges Werk heranreichte, könnte man über die der Bilder getrost hinwegsehen. Doch auch hier verkauft er sich unter seinem literarischen Wert; nicht wenige Texte nehmen sich recht dröge und einfallslos aus.
Zur Ehrenrettung dieses großen Autors muss man allerdings den ursprünglichen Publikationskontext der in Gattin aus Holzabfällen versammelten Miniaturen berücksichtigen, die vornehmlich in den Jahren 2005 bis 2009 im Satiremagazin Titanic sukzessive erschienen sind. Jeden Monat einen kleinen Happen davon serviert zu bekommen ist zweifellos bekömmlicher als sich mit einem Mal daran zu überfressen. Man kann dem Autor die Buchwerdung seiner Ausschussware indes nicht verdenken, ist er doch des schnöden Mammons willen schlichtweg darauf angewiesen. Im Lichte der Goldtschen Abfallverwertung wird hingegen die ästhetische Funktion des Covers mit seiner so unästhetischen Holzscheit-Skulptur sinnfällig: Wo gehobelt wird, da fallen Späne − das heißt Holzabfälle. Anstatt diese nun wegzuwerfen, nimmt der Künstler ein dickes Seil und bindet sie notdürftig zusammen – das heißt zu einem Buch. Und wie das Kunstwerk mit dem Titel »Gattin«, Holzabfälle, Sisalseil, 2006 nicht gemacht wurde, um im Museum zu verrotten, sondern um verschenkt zu werden, sollte man auch mit diesem Bildband jemandem eine Freude bereiten. Zwar werden sich über ein solches Geschenk nur Goldt-Fans freuen, aber derer gibt es ja bekanntlich zuhauf. Zugegeben: Goldts Gattin ist arg an den Seil-Haaren herbeigezogen; allerdings gibt es weitaus schlimmere Bücher über Müll, wie zum Beispiel Die abgeschaffte Mutter – Der männliche Gebärneid und seine Folgen von Hilde Schmölzer. Wie alles erwähnt Max Goldt auch das nur beiläufig, das Etikett jedoch, welches er für jenes unsägliche Werk parat hat, kann im besten Sinne des Wortes für sein eigenes gelten: »Meta-Trash«.

Max Goldt: Gattin aus Holzabfällen. Mit Text versehene Bilder. Berlin: Rowohlt 2010. 128 S. 18,95 €.

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