Zwei junge Frauen aus Berlin beschreiben, wie es ist, heute eine Frau zu sein.

Jana Hensel/Elisabeth Raether: Neue deutsche Mädchen
Von Lisa Huber


Jana Hensel und Elisabeth Raethers Werk wirkt wie ein Film im Parallelschnitt. Sie berichten abwechselnd über Männer, Eltern, Berufe und Geld. Sie erheben keinen Anspruch, für alle Frauen ihrer Generation zu sprechen; sie grenzen sich ab von einem ›totalitären‹ Feminismus in der Tradition Alice Schwarzers. Dieser ist nach Auffassung der Autorinnen nicht mehr aktuell nicht mehr anwendbar für Frauen der Gegenwart. Dass Alice Schwarzer sich nun nicht so leicht die Butter vom Vollkornbrot nehmen lässt, war vorauszusehen. »Wellness-Feminismus«, sei das, poltert sie, gar von einer »Verluderung des Feminismus»« ist die Rede. Alice Schwarzer wirft den Autorinnen in ihrer Dankesrede zur Verleihung des Ludwig Börne-Preises vor, sich ausschließlich für persönlichen Kleinkram einzusetzen, anstatt gegen Zwangsverschleierung und Zwangsprostitution zu kämpfen. Durch ihre Werbung für BILD und die Entgegennahme eines Preises des Bauer-Verlags, der viel Geld mit Pornographie verdient, hat sich Alice Schwarzer allerdings in den Augen der meisten jungen aber auch der alteingesessenen Feministinnen selbst diskreditiert, ins Abseits kapituliert. Ihre Glaubwürdigkeit wurde dadurch in Frage gestellt. Eine Frau verteidigt ihr Territorium.
Darin, keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu erheben, liegt die Stärke des Buchs von Hensel und Raether. Es bildet vielmehr den Alltag der jungen Autorinnen ab und lädt die Leserin dazu ein, sich darin wiederzufinden. Diese Einladung ist so unaufdringlich, dass der Ton des Buches manchmal kühl wirkt. Die Autorinnen erzählen lakonisch und in exakter Sprache von dem Leben gebildeter junger Frauen in Ost und West.
Sie erzählen, wie hilflos die Männer sind, die von der vorausgehenden Feministinnengeneration erzogen worden sind. Sie erzählen, wie anstrengend es heute ist, den Schein einer auf- und abgeklärten Frau zu wahren, die doch, wie alle, nur die Liebe sucht. Und sie beschreiben auch, wie es ist, nach dem Credo »Sex wie ein Mann« zu lieben – sich als Ausnahme von der weiblichen Regel zu präsentieren, als hart und unerschrocken und un-emotional:
Denn ich meinte zu wissen, was Männern an Frauen gefiel, vor allem aber, was ihnen an Frauen nicht gefiel. Sie mochten es nicht, wenn Frauen auf aufdringliche Weise ihre Gefühle äußerten, wenn sie überempfindlich waren oder anhänglich. Wenn sie mal wieder gekränkt, verletzt oder tief getroffen waren, wenn sie weinten oder herumschrien.
Dass es nicht funktioniert, Weiblichkeit zu leugnen, – oder vielmehr – zu leugnen, emotional zu sein, ist eine der zentralen Aussagen dieses Werks. Die Crux der Sache liegt darin, dass in Gesellschaft und Wirtschaft aber nur die Frauen erfolgreich sind (als Beispiele nennen die Autorinnen US-Senatorin Hillary Clinton und Ex-MTV-Deutschland-Chefin Christiane zu Salm), die sich in ihren Business- und Erfolgsstrategien an männlichen Vorbildern orientieren.
Dass in Berufen, die Frauen längst offen stehen, immer noch patriarchalische Strukturen herrschen, dass ausgesprochene Sexismen unausgesprochener Alltag im Berufsleben sind, dass es heute immer noch ein Politikum ist, weiblich zu sein, scheinen Gemeinplätze zu sein, von denen keine(r) mehr hören will. Doch die Autorinnen präsentieren ihre entsprechenden Beobachtungen in einer Art und Weise, die nichts mit Militanz zu tun hat. Sie sprechen aus, was ihre Generation und Bildungsschicht bewegt. Das Buch zeigt nicht, wie schlecht es Hauptschulabsolventinnen, Muslimas, Naturwissenschaftlerinnen oder Lesben geht. Wenn man davon ausgeht, dass das Buch von oben genannten Gruppen sowieso nicht gelesen wird, ist das auch gut so, denn es hat nichts mit ihnen zu tun. Das kann man, wie Alice Schwarzer, als implizite Diskriminierung verstehen, oder auch einfach als Merkmal der Gattung.
Elisabeth Raether beschreibt in einem Kapitel, wie sie mit der Kreditkarte ihres (verheirateten!) Liebhabers in Paris einkaufen geht. Diese Szene erwartet man gerade nicht in einem Buch mit Feminismus-Etikett. Dennoch funktioniert sie als Beispiel, dass es heute nicht ›unfeministisch‹ ist, gut auszusehen, auf sein Gewicht zu achten, BHs zu tragen und schön sein zu wollen. Für sich selbst, für andere, oder völlig ohne Adressat – es ist Teil jener Freiheit, die von der Vorgängergeneration erkämpft wurde, und deren Ausleben nun von eben dieser verurteilt wird.
Die hitzige öffentliche Debatte, die sich um das Buch entsponnen hat, ist ein Tauziehen um die Vorherrschaft im deutschen Feminismus. Alice Schwarzer hat mit ihrem harschen Angriff auf die jungen Autorinnen die von ihr selbst stets propagierte Idee von der Verschwesterung und der Kräftebündelung alle Frauen praktisch aufgegeben. Genau das aber, fehlende Solidarität, kritisieren die fortschrittlicheren unter den Feministinnen seit Jahren. Es ist schwierig, heute ein Buch über Feminismus zu schreiben, ohne dabei auf Alice Schwarzer Bezug zu nehmen und Position zu ihr zu beziehen. Macht man es als Autorin nicht, dann macht es die Kritik. Diese Position als Fixstern des Feminismus hat sie sich verdient. Sie hat für die Sache gelitten, gekämpft und viel einstecken müssen. Als Gegenleistung, so verdichtet sich der Eindruck, meint sie nun, richten zu können über gut und böse, weiblich und männlich, Christentum und Islam (siehe ihr neues Buch: Die große Verschleierung).
Der Titel des Buches Neue deutsche Mädchen ist allerdings schlecht gewählt. Wie soll man die Autorinnen ernst nehmen, wenn sie ihren Statusbericht über den Feminismus in Deutschland, mit dem Etikett »Mädchen« versehen? Es geht doch offensichtlich um Frauen, die dem Mädchenalter entwachsen sind. Erwachsene Frauen! Wenn eine Frau sich absichtlich als Mädchen beschreibt, ist das eine Verniedlichung. Verniedlicht werden wollen aber auch die Autorinnen dieses Buches nicht. Und ganz nebenbei hat der Titel einen unangenehm nationalen Beigeschmack, denn wie sollen sich die deutschen Mädchen in den nuller Jahren in Berlin von denen in London oder Amsterdam unterscheiden? Einerseits ist der Bericht erfrischend subjektiv, autobiographisch. Andererseits suggeriert der Titel doch eine Form beschreibender oder normativer Allgemeingültigkeit. Ich glaube, Alice Schwarzer hätte weniger geschimpft, wenn die Autorinnen ihr Buch »Zwei Frauen schreiben über das Leben in der Großstadt« genannt hätten.
Was dem Buch fehlt, ist der Blick in die Zukunft. In den jeweils letzten Kapiteln hat Jana Hensel ein Kind bekommen, Elisabeth Raether lebt in einer sogenannten »stabilen Beziehung«. Das Buch stellt keine politischen Forderungen, es gibt keine Lösungsvorschläge, wie denn nun politisch-feministisch-korrekt mit Männern, Geld, Kindern, Mütter, Vätern, Affären, Karrieren zu verfahren sei. Die Autorinnen schreiben unterhaltsam, aber nicht lustig; melancholisch, aber nicht traurig; nüchtern, aber nicht distanziert. Man hat das Gefühl, dass sie nicht wirklich Stellung beziehen wollen zur Lage der Frauen im Allgemeinen. In seiner unaufdringlichen Subjektivität stellt das Werk dennoch ein hohes Identifikationspotential. Die Leserin wird als Individuum angesprochen, und damit treffen Hensel und Raether exakt den Zeitgeist einer Frauengeneration, die für sich selbst in ihrer Diversität sprechen kann und keine pauschalisierenden Kampfparolen mehr braucht.

Jana Hensel/Elisabeth Raether: Neue deutsche Mädchen. Reinbek: Rowohlt 2008. 224 Seiten. 16,90 €.

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