»Der Gottfixierte« und das »realitätsunfähige Phantasma«

Christian Uetz: Nur Du, und nur Ich
Von Isabel Kreimes

»Kann der Leib traurig sein ohne unser Wissen?« – Das ist die erste Frage, die sich Uetzs namenloser Ich-Erzähler mittleren Alters in Nur Du, und nur Ich stellt. Er berührt damit sogleich ein umfassendes Thema, das in dem Roman immer wieder aufgegriffen wird: Das Leiden an der Liebe. Die Figuren aus Nur Du, und nur Ich kennzeichnet vor allem eins: Ein großes Verlangen nach Liebe, dessen Erfüllung aber an einer allgegenwärtigen Unfähigkeit, Nähe zuzulassen, scheitert.
Letztlich ist die gesamte Handlung geprägt von dem großen Wunsch des Protagonisten, dass die drei Jahre dauernde Liebesbeziehung mit seiner Angebeteten doch noch ein gutes Ende nehmen wird:
Zwei Menschen treffen sich und fangen an, Gefallen aneinander zu finden. Doch ihr Umgang mit dem Verliebt-Sein könnte nicht unterschiedlicher ausfallen: Sie flieht bei jeder Annäherung, fühlt sich immer wieder eingeengt und bricht regelmäßig den Kontakt ab. Der Ich-Erzähler auf der anderen Seite, ein Suchender nach der ausfüllenden Liebe, strebt eine vollkommene Symbiose mit der Frau an, braucht sie zum Glücklich-Sein. Zwar erkennt er das Gefälle zwischen sich und seiner Angebeteten, vermag aber nichts an der Situation zu ändern. Immer wieder taumelt er zwischen Freude in den Momenten des Glücks und Verzweiflung, wenn sie sich nicht mehr bei ihm meldet – ein ständiger Wechsel, infolgedessen der Erzähler beginnt, sich selbst Rechenschaft über seine Liebe abzulegen. Die dabei niedergeschriebenen Gedanken, die sich immer wirrer und ohne erkennbaren tieferen Sinn aneinanderreihen, repräsentieren den Selbstverlust des Ichs. Zugleich verdeutlichen sie das seelische Leid, machen es nachvollziehbarer, ja fast greifbar. Trotz der tiefen Wunden, die ihr Verlassen ihm immer wieder schlägt, ist der Ich-Erzähler stets in der Lage, die Situationen präzise zu analysieren.
So ist dem Verliebten bewusst, dass er seine Angebetete längst zum Ideal erhoben hat und sieht in seiner Verliebtheit zu ihr »die Stätte des Suizids«. Jede seiner Handlungen, denen der Wunsch zu Grunde liegt, ihre Ablehnung zu durchbrechen, erkennt er als weitere Zerstörung seines Selbst. Auch weiß er, dass er aus Schwäche und Anhänglichkeit nie fähig sein wird, das bestehende, offensichtliche Problem zwischen sich und der geliebten Frau anzusprechen: Seine eigenen Gefühle leugnend behauptet der Ich-Erzähler der Frau gegenüber, nicht an ihrer Abwesenheit zu leiden. So gibt er vor, nichts zu erwarten und hat doch eine ganz bestimmte, unumstößliche Erwartung: Von ihr geliebt zu werden, so wie auch er sie liebt, bis in alle Ewigkeit.
Im Sog der Liebe erfährt das Individuum so in Nur du und nur ich eine Bedrohung durch den Schmerz des Verlassenwerdens und zugleich eine Bereicherung der Identität durch die Selbstreflexion.
Uetz knüpft damit in seinem Debütroman an eine antiken Mythos – die Tantalusqualen – an: So ist die Angebetete sichtbar nahe, weicht jedoch beim Versuch, sie zu greifen, zurück. Auch der Religion, dem Prozess der Menschwerdung, bedient er sich: Mit schöpferischem Anklang (sieben Schritte – sieben Tage) umkreist Uetz die Liebe, philosophiert über ihre Bedingungen im Zeitalter des Spätkapitalismus, wo Geld erotisch ist und Technik stimuliert. Dabei verhindert jedoch sein Stil, dass Handlungen und Personen visualisiert werden können. Man weiß nicht, wie sie aussieht, man weiß nicht, wie er aussieht und unklar ist auch, wie und wovon die beiden leben. Offen bleibt letztlich auch die Frage, ob das Lebens- und Beziehungsmodell der Protagonisten kritisch betrachtet, oder einfach offen geschildert wird.

Christian Uetz: Nur Du, und nur Ich. Roman in sieben Schritten. Zürich: Secession 2011. 99 Seiten. 17,95 Euro.

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