Terror und Identität

Raul Zelik: Der bewaffnete Freund. Roman
Von Peter Ullinger

Was soll man von einem Roman erwarten, der einen solchen Stil pflegt: "In »Zur Kritik der Gewalt« unterscheidet Walter Benjamin zwischen rechtssetzender und rechtserhaltender Gewalt. Die erste etabliert die Ordnung, die zweite erhält sie. Recht und Gewalt sind dadurch miteinander verschränkt: »Rechtsetzung«, schreibt Benjamin, »ist Machtsetzung und insofern ein Akt von unmittelbarer Manifestation der Gewalt«." Das klingt nach einer Seminararbeit - abstrakt, trocken, mit Literaturverweis. Raul Zelik ist 1968 geboren, wurde 1998 Gewinner des Walter-Serner-Preises des SFB und des Literaturhauses Berlin und ist durch Werke wie Friss und stirb trotzdem (1997), La Negra (2000), grenzgängerbeatz (2001) wie auch durch seine Sachbücher und Beiträge in Zeitungen, Zeitschriften und sozialwissenschaftlichen Organen als politisch engagierter, linker Autor bekannt. Weniger bekannt ist seine zeitweilige Lehrtätigkeit am Lateinamerika-Institut der FU Berlin. Zelik hat sich auch in seinem aktuellen Roman ein brisantes und ambiges Thema herausgesucht: den Baskenkonflikt.

In den deutschen Medien wird dieser Konflikt um die Identität, die gefühlte Unterdrückung und die (Teil-)Autonomie der baskischen Minderheit selten wahrgenommen und meist dann interessant, wenn die ETA bombt. Zeliks Roman bemüht sich dagegen, seinem Leser einen umfassenderen Einblick in das Verhältnis von Spaniern und Basken zu gewähren. Zu diesem Zweck wird der Ich-Erzähler Alex, Mitte dreißig und Geisteswissenschaftler, vom Autor von Berlin nach Bilbao geschickt - die Stadt wird im Roman nur als X bezeichnet, aber durch die Sehenswürdigkeiten und die Topografie eindeutig identifizierbar. Im Rahmen eines Forschungsprojektes zur europäischen Einigung soll er Daten erheben und den Zusammenhang zwischen Sprache und Identität ergründen. Alex ist dies ganz recht, da er seiner persönlichen Lebenssituation in Deutschland entfliehen kann: einer ersten homosexuellen Beziehung mit Rabbee (die ebenso unbefriedigend ist wie seine bisherigen heterosexuellen), seinem angespannten Verhältnis zu seiner Tochter und deren Mutter sowie seiner empfundenen Einsamkeit: "Ich bin nicht allein und fühle mich doch verlassen."

In Spanien dringt Alex, wie bereits einmal etwa 20 Jahre zuvor, tief in das Befinden der spanischen Basken ein und teilt seine Beobachtungen dem Leser mit - teilweise ungefiltert und sehr empathisch: "Montserrat hat mir einmal von ihren Nachbarn erzählt, einfachen Bürgern, die, um ihr Doppelleben zu ertragen, Militante, Terroristen, Bandenmitglieder, über Jahre hinweg Beruhigungsmittel schluckten... Doch mittendrin unternahmen sie Fahrten ... die sie manchmal aus der Ohnmacht heraus, manchmal schnurstracks in die Hölle hineinführten. ... Und jede Nacht dieses Bild vor Augen: ein Mensch, der mit zerschossenem Kopf auf dem Boden liegt und stirbt." Teilweise erzählt Alex sehr reflektiert und abstrakt. So doziert er, "dass die Identität der Menschen von X wie alle anderen auch konstruiert sei und ständig weiter geschrieben werde, dass die Kultur sich im Fluss befinde und jedes Festhalten an einem Zustand irgendwann ins Regressive umschlagen müsse." Oft lässt Alex auch Bewohner des Baskenlandes selbst zu Wort kommen; etwa durch das Zitieren eines Gedichtes von Ruper Ordorika, durch die Wiedergabe von Ausschnitten aus Radiointerviews mit Basken, aus baskischen Pop- und Punkliedern oder aus Protokollen, in denen von Folter durch spanische Polizeibeamte die Rede ist, sowie schließlich durch die Montage von Abschnitten aus dem neuen Roman des untergetauchten Autors Joseba Sarrionandia. Letzterer - dessen Roman Der gefrorene Mann Zelik aus dem Baskischen ins Deutsche übersetzt hat und der mittlerweile ebenfalls bei Blumenbar veröffentlicht hat - wurde einst in der Realität wie im Roman von Alex’ Freund Zubieta, dem bewaffneten Freund, aus dem Gefängnis befreit.

Kann ein Roman funktionieren, der wie Zeliks Roman so viele verschiedene Textsorten verbindet: wissenschaftliche Abhandlungen, Erlebnisberichte oder Zitate aus poetischen, prosaischen und journalistischen Quellen? Einige Rückblenden, die teilweise zwanzig Jahren zurückreichen, sowie Traumbeschreibungen zergliedern den Gedankengang zusätzlich. So bekommt der Roman einen essayistischen Charakter, der gerade durch die Brüche spannend bleibt. Zudem wird es Alex einerseits erlaubt, den Konflikt sowohl von baskischer Seite wie auch von Seiten der spanischen Gegner zu erfassen, wie andererseits individuelle und kollektive Sichtweisen aufzugreifen.

Dabei erzählt Alex allerdings keine effektheischende Geschichte über einen Bombenanschlag oder eine Geiselnahme, sondern von der undramatisch verlaufenden Schleusung seines als Topterrorist gesuchten Freundes Zubieta von Frankreich nach Spanien. Nach etwa der Hälfte des Buches, in der Alex sich seiner Identitäts- und Rollenkrise voll bewusst wird und im Identitäts- und Rollenbewusstsein eine Ursache des baskischen Konfliktes zu erkennen glaubt, wird ihm über einen Mittelsmann angetragen, Zubieta diesen Gefallen zu erweisen. Trotz Zweifeln, die die Legitimation des baskischen Terrors, seinen Willen zu helfen und den ihm unbekannten Zweck der Fahrt betreffen, willigt er ein. Diese Zweifel nagen dann an Alex, der während des größten Teils des Romans mit wechselnden Begleitern in seinem alten Renault unterwegs ist. So könnte man diese Geschichte als eine Art road novel bezeichnen, weitestgehend chronologisch erzählt und mit einer inneren Entwicklung des Erzählers verbunden: So erkennt etwa Alex am Ende des Buches, "dass es andere Menschen gibt. Sie wirklich da sind, wenn man sie braucht."

Zelik lässt Alex auf diese Art eine Abhandlung über den Baskenkonflikt erzählen, die sich, statt um einen Lösungsvorschlag, um eine möglichst vollständige und unparteiliche Erfassung der verschiedenen Sichtweisen bemüht - es kommen einfache Bauern, Terroristen, Außenstehende, Betroffene und Gegner der Widerständler zu Wort, mit denen sich Alex auseinandersetzen muss. Zelik bietet auch eine möglichst gleichwertige Kritik der verschiedenen Ansichten. Auf dieser Ebene funktioniert der Roman. Zeliks Fokus liegt nicht nur auf der Darstellung der verschiedenen Ansichten; darüber hinaus bemüht er sich um Vermittlung der Hintergründe. An diesem Punkt wird der Roman teilweise etwas holzschnittartig. So werden die breit ausgetretenen Identitätszweifel von Alex und die identitätsstiftende Wirkung von Sprachen wie dem Baskischen genutzt, um in der Identitätsproblematik eine Ursache des baskischen Widerstandes zu spiegeln. Allerdings werden auch die Vorwürfe, die ETA sei eine Mafia mit monetären Interessen, an mehreren Textstellen aufgegriffen und illustriert.

Die Weigerung vieler Spanier und vieler spanischer Behörden, mit den Terroristen zusammen an einer Lösung des Konfliktes zu arbeiten, wird explizit mit dem Erbe Francos begründet. Aber auch der Unwille vieler Basken, den Terror in ihrem Namen mitzutragen, wird nicht verschwiegen. Was bleibt, ist ein Roman, der unaufgeregt und unspektakulär von einem Thema erzählt, das viele Kontroversen, Hysterien und ideologische Debatten auslöst, der dabei aber formal interessante Wege geht. Zelik zeigt einmal mehr, dass er andere Sichtweisen, Ansichten und Mentalitäten erfassen und empathisch nachvollziehbar darstellen und mit einem Ensemble fiktiver Charaktere literarisch anschaulich machen kann. Dies ist die vielleicht größte Leistung des Romans, der den psychologisierenden Ansatz nicht wirklich nötig hat, aber dafür den Konflikt und seine Beteiligten und Betroffenen über den Bombenterror der ETA hinaus beleuchten kann. Ein gut lesbares, thematisch und auch formal interessantes Buch von einem gewohnt ambitionierten Autor mit gesellschaftlichem Anliegen.

Raul Zelik: Der bewaffnete Freund. Roman. München: Blumenbar 2007. 286 S. 18 €

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